Tizian und die Renaissance in Venedig

13.2.–26.5.2019

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Hier entstanden Ideen, die Geschichte geschrieben haben. In Venedig, der Stadt der Seefahrer und Händler, kamen Einflüsse der verschiedensten Kulturen aus aller Welt zusammen. Das 16. Jahrhundert war eine Blütezeit von Literatur, Musik und Kunst. Besonders die Gemälde des einflussreichen Künstlers Tizian stehen für die revolutionäre Kraft der Malerei Venedigs. Virtuose Farben und eine lebendige Bewegtheit machen die Kunst der venezianischen Renaissance zu einem faszinierenden Erlebnis.

Tizian ist kein Maler (...) sondern ein Wunder!

Sperone Speroni, Dialogo d'Amore, 1542 Toggle credits

Venedig

Glanzvolle Republik

Venedig – eine einzigartige Stadt! In ihren unzähligen Kanälen spiegeln sich Fassaden, Gondeln und Menschen. Das stimmungsvolle Licht- und Farbenspiel ist unvergesslich.

Etwa 30 Millionen Menschen aus aller Welt besuchen jedes Jahr die bezaubernde Lagunenstadt. Doch riesige Kreuzfahrtschiffe bringen die alten Gemäuer zum Beben und gefährden so die fragilen Fundamente. Die jahrhundertealten Kirchen und Paläste drohen auf lange Sicht unterzugehen.

Zu Tizians Lebzeiten (1488/90-1576) zählte Venedig zu den zehn größten Metropolen der Welt. Eine Republik mit zeitweise 200 000 Bewohnern und Handelsverzweigungen in alle Erdteile: „La Serenissima“ – die Glänzende, Adlige – wurde die stolze Stadt auf dem Wasser genannt.

Paläste und Kanäle

Kunst, Musik, Literatur und Wissenschaft – der kulturelle Reichtum Venedigs kannte im 16. Jahrhundert keine Grenzen.

Ein Holzschnitt von fast drei Metern Breite! Dieser riesige Stadtplan ist eine Errungenschaft der venezianischen Blütezeit um 1500. Der Betrachter schwebt über der Lagune. Venedig liegt wie ein Fisch im Wasser. Um den Verlauf der unzähligen Gebäude, Gassen und Kanäle aufzuzeichnen, kletterte man auf die höchsten Türme. Wo dies nicht möglich war, mussten Messinstrumente und die Fantasie aushelfen. Alle bedeutenden Orte der glanzvollen Hauptstadt der Republik lassen sich auf dem Plan entdecken.

Jacopo de’ Barbari (Entwurf?), Ansicht von Venedig, 1498–1500

Holzschnitt auf 6 Blättern, gesamt 137 x 284 cm, Germanisches Nationalmuseum, Graphische Sammlung, Nürnberg

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    Markusplatz

     

    In den Fokus gerückt ist der Markusplatz mit der prächtigen Kirche San Marco, dem Glockenturm und dem Dogenpalast – das Machtzentrum Venedigs.

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    Neptun

     

    Täglich laufen Schiffe mit Waren aus aller Welt ein. „Ich, Neptun, verweile hier und beschütze das Wasser im Hafen“ steht auf dem Schild, das von dem Dreizack des antiken Meeresgottes herabhängt.

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    Merkur

     

    „Vor allen Städten lasse ich, Merkur, diesen Handelsplatz erstrahlen in Ruhm und Glück“ sagt der Gott der Kaufleute aus der Luft. Der Stadtplan unterstreicht den ganzen Stolz der Handelsrepublik.

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    Rialto-Brücke

     

    Bis heute eine Berühmtheit: Die Rialtobrücke ist um 1500 die einzige Brücke über den Canal Grande, den größten Kanal Venedigs. In ihrer Nähe sieht man die Niederlassung der deutschen Kaufleute: „Fontico dalamanj“ – Lagerraum der Deutschen – steht auf dem Haus.

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    Arsenale

     

    Die Schwanzflosse des „Fisches“ wird vom Arsenale eingenommen. In der staatlichen Werft Venedigs wurden Kriegs- und Handelsschiffe gebaut. Nur wenigen Befugten war der Zutritt erlaubt. Heute ist der Arsenale Schauplatz der berühmten Kunstbiennale von Venedig.

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    Gondola

     

    Die Gondeln von Venedig sind in aller Welt berühmt. Heute eine Touristenattraktion, dienten die geschwungenen Boote um 1500 als wichtigstes Fortbewegungs- und Transportmittel.

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Jacopo de’ Barbari (Entwurf?), Ansicht von Venedig, 1498–1500

Holzschnitt auf 6 Blättern, gesamt 137 x 284 cm, Germanisches Nationalmuseum, Graphische Sammlung, Nürnberg

Eine Handelsrepublik – kein Königreich oder Fürstentum. Venedig eilt ein freiheitlicher Ruf voraus. Menschen unterschiedlichster Herkunft und Religion zieht es deshalb in die Lagune. Wer hier den Status eines Bürgers erlangt, hat politisches Wahl- und Mitspracherecht: alles andere als eine Selbstverständlichkeit im Europa des 16. Jahrhunderts. Der Doge von Venedig ist der würdevolle Herrscher über die Republik.

Venedig und
die Welt

Die zahlreichen Schiffe auf dem Holzschnitt zeugen davon: Das Handelsnetz Venedigs reichte entlang der Adria, über Kreta und Konstantinopel – das heutige Istanbul – bis ins Schwarze Meer und den Pazifik. Traditionell war Venedig mit der maßgeblichen politischen Macht im Osten, dem Byzantinischen Reich, verbündet. Noch heute sieht man die Spuren der „orientalischen“ Kultur an den Fassaden der Stadt.

Palazzo Contarini Fasan, Canal Grande, Venedig, 15. Jahrhundert

Macht und Weisheit

Ein roter samtener Ehrenvorhang und ein kostbares, goldenes Gewand: Dem venezianischen Staatsoberhaupt gebührt alle Ehre.

Das gilt sonst nur für die Päpste, Könige und Kaiser: Die Dogen von Venedig sind auf Lebenszeit im Amt. Allerdings wird ihre Macht durch verschiedene politische Räte und Gremien kontrolliert. Die komplizierte Wahl- und Regierungsordnung Venedigs würde man heute als System der Checks and Balances bezeichnen. Eine ausgewogene Gewaltenteilung und die Verhinderung von zu viel Machtkonzentration sind die tragenden Säulen der Republik.

Tizian, Bildnis des Dogen Francesco Venier, 1554–56

Öl auf Leinwand, 113 x 99 cm, Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid, © Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid

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    Francesco Venier

     

    Das kränkliche Gesicht des Dogen steht im Widerspruch zu seiner prachtvollen Erscheinung. Francesco Venier muss stets von zwei Männern gestützt werden, wenn er sich erheben oder fortbewegen möchte.

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    Vieste

     

    Das süditalienische Vieste wurde 1554 von osmanischen und nordafrikanischen Seeräubern überfallen. Im Fensterausschnitt ist die brennende Hafenstadt zu sehen. Über 7000 Einwohner wurden versklavt und Tausende geköpft. Erst danach konnte der Doge die Befreiung des venezianischen Handelsstützpunktes erreichen.

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    Retter in der Not?

     

    Tizian stellt den Dogen als Diplomaten dar. Durch Verhandlungen mit Sultan Süleyman I., dem Herrscher des Osmanischen Reiches, kann er den Konflikt um die Stadt beenden. Das Porträt verrät nicht, dass die Hilfe für Tausende zu spät kam.

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    Ein fester Griff

     

    Francesco Venier hält seinen prächtigen Umhang fest in der Hand. Bei den Venezianern ist der Doge unbeliebt. Denn ungeachtet der wirtschaftlichen Krise lebt Venier in Saus und Braus. Seine Feste und Bankette sind legendär.

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  • Der Dogenhut

    Die Kappe lässt den heutigen Betrachter schmunzeln. Der Corno Ducale (ital., Horn des Dogen) ist das Würdezeichen des Oberhaupts. Tizians Porträt zeigt Francesco Venier, der von 1554 bis 1556 regierte.

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Tizian, Bildnis des Dogen Francesco Venier, 1554–56

Öl auf Leinwand, 113 x 99 cm, Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid, © Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid

Die Renaissance (franz., Wiedergeburt) gilt als Zeit des Wandels. Die Kultur der Antike wird zum Vorbild für ein neues Wertesystem und Menschenbild. Besonders Italien ist Ort zahlreicher wissenschaftlicher Erfindungen und kultureller Neuerungen. Doch das 16. Jahrhundert bedeutet für die Republik Venedig den Beginn ihres schleichenden Niedergangs. Das Osmanische Reich hat bereits 1453 Konstantinopel erobert. Der Einfluss Venedigs im Osten schwindet zusehends. Konkurrenz erwächst der Seefahrerrepublik außerdem durch den blühenden Handel zwischen anderen europäischen Mächten und den Kolonien im neu entdeckten Amerika.

Der Mensch
im Mittelpunkt

Die venezianische Weltmacht bröckelt, doch die Kunst und Kultur der Renaissance in Venedig ist umso innovativer. Zahlreiche Dichter, Denker und Künstler besuchen die Lagune. Hier weht ein freiheitlicher Wind. Unter den Besuchern finden sich auch Albrecht Dürer, Leonardo da Vinci und Erasmus von Rotterdam, die noch heute berühmt sind. Sie stehen beispielhaft für den Humanismus, die große Bildungsreform der Renaissance. Dieser verbreitet das Ideal des selbstbestimmten Menschen und fordert Gelehrsamkeit und kritisches Denken. Sich selbst zu hinterfragen und zu begreifen, ist eine der größten Errungenschaften dieser Zeit. Auch die Kunst und die Kunsttheorie entwickeln neue Darstellungs- und Sichtweisen.

Colorito

Pinselstrich und Farbenspiel

Dynamische Pinselstriche und eine ausdrucksstarke Lebendigkeit – die venezianischen Künstler der Renaissance entwickeln eine unverwechselbare Malweise.

Ein atemberaubender Abendhimmel – prächtige Farben leuchten in sanften Übergängen von Orange zu Blau. Einen starken Kontrast dazu bildet der davorstehende, schwarz gekleidete Mann mit dem ernsten Blick. Der Farbkasten auf der Fensterbank gibt einen Hinweis auf die Identität und den Beruf des Dargestellten: Es ist Tizians Farbenhändler Alvise dalla Scala.

Tizian, Bildnis des Farbenhändlers Alvise Gradignan dalla Scala, um 1561/62

Öl auf Leinwand, 138 x 116 cm, Staatliche Kunstsammlungen, Gemäldegalerie Alte Meister, Dresden, © bpk | Staatliche Kunstsammlungen Dresden/Elke Estel | Hans-Peter Klut

In Venedig hat sich der eigenständige Beruf des Farbenhändlers bereits um das Jahr 1500 herausgebildet. Künstler kauften ihre Pigmente bis dahin in Apotheken. Aus Pflanzen, Insekten und anderen Naturmaterialien werden Farben aufwendig hergestellt. Venedig mausert sich schnell zum Zentrum des Farbenhandels in Europa. Alvise dalla Scala beliefert sogar den kaiserlichen Hof der Habsburger und den Vatikan.

Brokat, Samt
und Seide

Neben der eigenen Produktion importieren die Venezianer Textilien aus dem Orient, um sie zu feinsten Stoffen weiterzuveredeln. Die daraus gefertigte Kleidung wird zum luxuriösen Gut und dient der Repräsentation des gesellschaftlichen Standes. Entsprechend wird der Darstellung der kostbaren Materialien in Gemälden große Bedeutung beigemessen.

Spielarten der Malerei

Leuchtkraft, Lichteffekte und Kontraste: Die Maler Venedigs entwickeln verschiedenste Techniken im Umgang mit der Farbe und werden für ihre Farbkünste gerühmt.

Jacopo Tintoretto und Werkstatt, Moses schlägt Wasser aus dem Felsen, um 1555 (?)

Öl auf Leinwand, 118x182cm, Städel Museum, Frankfurt am Main, © Städel Museum, Frankfurt am Main – ARTOTHEK

Von Trockenheit keine Spur. Tizians Zeitgenosse Tintoretto malt die Wüste in sattem Grün. Die Szene zeigt Moses und die Israeliten auf ihrer Wanderung ins Gelobte Land. Von Durst geplagt, begehrt das Volk gegen seinen Anführer auf. Da kann nur noch ein Wunder helfen: Moses schlägt mit einem Stock auf den Felsen, worauf das Wasser zu sprudeln beginnt. Durch sein leuchtend rotes Gewand zeichnet sich seine Gestalt deutlich von der Menschenmenge im Hintergrund ab. Tintorettos Malweise ist eigenwillig – überall sind flüchtige Pinselstriche zu sehen.

Das Gemälde gibt Rätsel auf: Die prächtigen Gewänder der Menschen lassen an eine prunkvolle Theaterinszenierung denken. So sieht kein Mensch aus, der jahrelang durch die Wüste gewandert ist. Tintoretto schildert mit Hingabe den Perlenbehang der Frauen und die extravaganten Hüte der Männer. Unpassend wirkt die Aufmachung. Die Israeliten wenden sich immer wieder gegen Moses, obwohl er seinen Auftrag von Gott erhalten hat. Mangelndes Gottvertrauen und ein falsches Urteilsvermögen kennzeichnen das Volk in der biblischen Geschichte. Dies unterstreicht Tintoretto durch die übertriebene Ausstaffierung der Menge.

Eine unwirkliche, unheimliche Atmosphäre. Dramatisch heben sich die Figuren vor dem tiefschwarzen Hintergrund ab. Der Maler Jacopo Bassano hat für die Darstellung der satten Dunkelheit Farben auf eine polierte Schiefertafel aufgetragen. Auf dem schwarzen, glänzenden Stein treten die Orange-, Rot- und Gelbtöne intensiv hervor. Helle Akzente wirken wie Lichtreflexe. Gekonnt schildert Bassano den Todesmoment Christi – laut der Bibel verfinstert sich die Sonne.

Jacopo Bassano, Kreuzigung Christi, um 1575

Öl auf Schiefer, 49,4 x 29,8 cm, Museu Nacional d’Art de Catalunya, Barcelona, © Museu Nacional d’Art de Catalunya, Barcelona (2019), Photo: Calveras / Mérida / Sagristà

Unter allen denen, die Nachtscenen mit Farben auf Gemälden darzustellen pflegen mit strahlenden und reflektirenden Lichtern, konnte der alte Bassano die Augen durch Natürlichkeit ausserordentlich gut betrügen.

Karel van Mander, Schilderboek, 1604 Toggle credits

Jacopo Bassano, Studie für eine Gefangennahme Christi, 1568

Kohle und farbige Kreiden auf graublauem Papier, 41,3 x 54,9 cm, Musée du Louvre, Département des Arts Graphiques, Paris, bpk | RMN – Grand Palais, Michèle Bellot

Bassanos Zeichnung ist ungewöhnlich für die damalige Zeit. Als Erster bereichert er seine Linienzeichnung durch verschiedenfarbige Kreiden! Mittels des gezielten Einsatzes von Blau, Gelb und Rot betont er einzelne Figuren. So entsteht im Zusammenspiel von Zeichnung und Farbe eine lebendige Komposition. Mit weißer Kreide setzt er Glanzpunkte und Akzente.

Sprühende
Lebendigkeit

In der gezeichneten Linie nimmt die Idee des Künstlers Form an. Nach Auffassung vieler Künstler der Renaissance gibt die Linienzeichnung den eigentlichen Entwurf wieder, der anschließend in ein Gemälde umgesetzt wird. Erst auf der Leinwand tritt die Farbe hinzu. Die venezianischen Maler sind jedoch überzeugt: Die Farbe ist das Wesentliche der Malerei. Sie verleiht der Darstellung eine vibrierende Lebendigkeit. In Bassanos farbiger Zeichnung verschwimmt die Grenze zwischen Zeichen- und Malprozess.

Form und Farbe

Deutlich sichtbare Pinselspuren und großzügig aufgetragene Farbe – Tizians späte Malweise nimmt stellenweise abstrakte Züge an.

Tizian, Tarquinius und Lucretia, um 1570–75

Öl auf Leinwand, 114 x 100 cm, Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste, Wien, © Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien

Mit energiegeladenen Pinselstrichen hat Tizian die Figur des Tarquinius gestaltet: Der wilde Gestus in dessen Kleidung steht im Gegensatz zu Lucretias fein gemaltem Gesicht. Ohne Vorzeichnungen hat Tizian die offene, fast skizzenhafte Struktur auf die Leinwand gebracht. Seine innovative Malweise lässt Dramatik und Bewegung anschaulich werden.

Der Betrachter blickt auf die verzweifelte Lucretia. Die schöne und tugendhafte Frau wird von Tarquinius begehrt. Er erpresst sie mit der Drohung, ihrem Ehemann Lügengeschichten zu erzählen. Wenn sie sich Tarquinius nicht hingibt, werde er sie der Untreue beschuldigen. Eine hochdramatische Vergewaltigungsgeschichte, die im Selbstmord Lucretias endet.

Wenn Tizian damals in Rom gewesen wäre, die Arbeiten Michelangelos und Raffaels, die antiken Statuen gesehen und die Zeichenkunst studiert hätte, so würde er das Erstaunlichste geleistet haben.

Giorgio Vasari, Le Vite, 1568 Toggle credits

Jacopo Tintoretto zählt mit Tizian zu den großen Malern Venedigs. Seine Werke sind unter anderem von dem florentinischen Künstler Michelangelo inspiriert. Tintoretto bringt dessen klare Formensprache mit der venezianischen Farbmalerei zusammen:

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Scharfe Umrisse, durchdachte Proportionen und kunstvoll verdrehte Körper zeichnen Michelangelos Werke aus. Von großer Ausdruckskraft ist die klar modellierte Muskulatur der nackten Figur im Deckengemälde der Sixtinischen Kapelle im Vatikan.

Michelangelo Buonarroti, Decke der Sixtinischen Kapelle, Detail, Ignudo, Vatikan, 1508–12

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Tintoretto übersetzt Michelangelos Stilmittel in seine eigene Sprache: Im Wechsel von Licht und Schatten werden die harten Konturen weich und der Pinselstrich sichtbar. Ein atmosphärischer Sog geht von dem Gemälde aus.

Jacopo Tintoretto, Der heilige Hieronymus in der Wildnis, um 1571/72

Öl auf Leinwand, 143,5 x 103 cm, Kunsthistorisches Museum, Gemäldegalerie, Wien, KHM-Museumsverband

Zwischen den kulturellen Zentren Venedig und Florenz entbrennt ein Wettstreit. Das Ringen zwischen colore und disegno um die Vorherrschaft in der Kunst schlägt sich vor allem in den kunsttheoretischen Schriften der Renaissance nieder. Die experimentelle Farbmalerei der Venezianer steht auf der einen, das Kunstideal der Florentiner auf der anderen Seite: Letzteres fußt auf Zeichnung, Perspektive und Proportion.

Disegno vs.
Colore

Der disegno (ital., Zeichnung) umfasst nicht nur die reine Zeichnung, er beinhaltet vielmehr das Konzept eines Kunstwerks. Dieses ist – so die damalige Auffassung – von Gott gegeben und entsteht im Kopf des Künstlers. Die Linien der Zeichnung verleihen demnach der außergewöhnlichen Begabung des Künstlers sichtbaren Ausdruck. Laut Giorgio Vasari, dem Florentiner Kunsttheoretiker, ist Michelangelo der unangefochtene Meister des disegno. Vasari spricht dem colorito (ital., Farbigkeit) hingegen eine geringere Bedeutung zu. Er erklärt, die Farbe sei nur oberflächliche Zutat zu einem Kunstwerk. Vasari behauptet, die Figuren in Tizians Gemälden seien schlecht gezeichnet. Und geht sogar noch einen Schritt weiter: Mit dem Einsatz von Farbe wolle Tizian über diesen Mangel hinwegtäuschen. In Venedig bezieht Tizians Freund Lodovico Dolce Position in der Debatte. Der Schriftsteller und Theoretiker erwidert, dass Tizian meisterhaft zeichne. Außerdem hauche er Gemälden mit seinen Farben Lebendigkeit ein!

Ludovico Dolce, Dialogo della pittura di M. Lodovico Dolce, intitolato l'Aretino, 1557

Kunsthalle, Bibliothek, Sign. C360-8, Hamburg, bpk | Hamburger Kunsthalle | Christoph Irrgang

Poesia

Gemalte Dichtung

„Absolut gottgleich“ und „ohne Konkurrenz“ – mit diesen Worten lobt Lodovico Dolce Tizian in den höchsten Tönen.

Der Kunsttheoretiker und Dichter Dolce bezeichnet Tizian als den größten aller Maler. Mit seiner Farbkunst könne sich nicht einmal Michelangelo messen.

Tizian, Knabe mit Hunden in einer Landschaft, um 1570–76

Öl auf Leinwand, 99,5 x 117 cm, Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam, Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam | Studio Tromp, Rotterdam

Energisch aufgetragene Pinselstriche und verwischte Farbfelder! Tizian entwirft ein beängstigendes Szenario. Düstere Rauchschwaden verdunkeln den Himmel. Ein kleiner Junge blickt über seine Schulter zurück; er ist allein im Wald mit zwei Hunden. Was wird hier erzählt? Tizian scheint die Szene selbst ersonnen zu haben. Ohne Vorzeichnung malt er direkt auf die Leinwand. Die rhythmische, improvisierte Malweise und die rätselhaften Bildmotive erzeugen eine eigenwillige Stimmung. In Briefen hat Tizian einige seiner Bilder selbst als poesie – als Gedichte – bezeichnet. Die Deutung bleibt dem Betrachter überlassen.

Und ich glaube, dass eine Porträtierung von Tizian und eine Lobpreisung von Aretino einer Neuerschaffung der Menschen gleichkommt.

Sperone Speroni, Dialogo d'Amore, 1542 Toggle credits

Der Dichter Pietro Aretino und Tizian waren echte Berühmtheiten. Der skandalträchtige Gesellschaftskritiker Aretino pflegt europaweit Kontakte zu politischen Größen, Denkern und Künstlern. Und so kann er Tizian zu Aufträgen und Ideen verhelfen. Der Dichter und der Maler treiben sich gegenseitig im spielerischen Wettstreit zu Höchstleistungen an. Aretino lobt Tizians Kompositionen überschwänglich, und Tizian wiederum übersetzt Aretinos Dichtungen in Bilder.

Fantasie und Dramatik

Hellrot tropft Blut aus der Wunde auf den glänzenden Stoff. Die Königstochter Procris liegt, von einem Jagdspeer tödlich verwundet, am Boden.

Paolo Veronese, Cephalus und Procris, um 1580

Öl auf Leinwand, 162 x 190 cm, Musée des Beaux-Arts, Straßburg, Photo Musées de Strasbourg, M. Bertola

Eine tragische Geschichte: Procris’ Gatte Cephalus hat den Speer geschleudert. Er hatte im Gebüsch ein Tier vermutet, doch war es Procris, die sich darin versteckt hatte. Getrieben von Eifersucht, war sie Cephalus heimlich in den Wald gefolgt. Da er unentwegt den Namen „Aura“ rief, glaubte sie, er betrüge sie mit einer Nymphe. In ihren letzten gemeinsamen Momenten klärt Cephalus das Missverständnis auf: Sein Ruf nach Aura (griech., Lufthauch) war nichts weiter als der Wunsch nach einer erfrischenden Brise nach der hitzigen Jagd.

Wir Maler bedienen uns der gleichen schöpferischen Freiheit wie die Dichter und die Hofnarren.

Paolo Veronese während seines Inquisitionsprozesses, 1573 Toggle credits

Die Geschichte von Cephalus und Procris kannte Veronese wohl aus den berühmten Metamorphosen des römischen Dichters Ovid (43 v. Chr.–17 n. Chr.). Fantasievoll schmückt der Maler die Szene aus: Procris trägt ein Gewand aus weißgoldenem Brokat: Die Falten erzeugen ein faszinierendes Spiel aus Licht und Schatten. Sanft verschränken sich die Hände der Liebenden. Seine poetischen Bilder machten Veronese zu einem der gefragtesten Maler Venedigs.

Natur­bilder

Landschaft der Träume

Raus ins Grüne! Die Maler und Dichter der Renaissance in Venedig entdecken die Landschaft als Ort des Friedens, der Fruchtbarkeit und ungezwungenen Liebe.

Eine Bauernfamilie bei der Arbeit unter freiem Himmel. Jacopo Bassanos Gemälde zeigt das neue Interesse für das Natürliche und Ländliche. Im 16. Jahrhundert geht dies mit dem Mythos des Goldenen Zeitalters einher. Seit der Antike gibt es den Traum dieses freiheitlichen Urzustands der Menschheit, im Einklang mit der Natur. Erst die Zivilisation bringt demnach Gewalt und Krieg.

Jacopo Bassano, Pastorale Szene, um 1560

Öl auf Leinwand, 139 x 129 cm, Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid, © Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid

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    Tier und Mensch

     

    In Bassanos Gemälden tummeln sich stets Tiere. Auch hier haben Kühe, Schafe und ein schlafender Hund ihren Platz gefunden. Der Maler hat sie wohl nach der direkten Anschauung gestaltet.

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    Die Bauernfamilie

     

    Jung und Alt sind bei der alltäglichen Arbeit zu sehen. Die Großmutter richtet gerade eine schlichte Pausenmahlzeit her.

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    Kindliche Freiheit?

     

    Die Bauernkinder, die die Tiere versorgen, sind kniend, vorgebeugt oder in gewundener Körperhaltung wiedergegeben. Was in Wirklichkeit harte körperliche Arbeit bedeutet, sieht hier unschuldig und glücklich aus. Das Bild zeigt Landleben als Idealzustand!

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    Die Bäuerin

     

    Ein Rücken kann entzücken. Das Gemälde zeigt die nackte Haut der jungen Bäuerin und lädt den städtischen Betrachter zum Schwelgen ein.

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    Der Sämann

     

    Der Bauer bei der Aussaat! Doch Vögel picken die Saatkörner wieder auf. Eine Anspielung auf die biblische Geschichte vom Sämann? Das Saatkorn steht für das Wort Gottes – nicht überall fällt es auf fruchtbaren Boden.

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Jacopo Bassano, Pastorale Szene, um 1560

Öl auf Leinwand, 139 x 129 cm, Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid, © Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid

Blaue Berge in der Ferne, lichte Wälder, sanfte Hügel, der Bauernhof: Bassanos gemalte Landschaft ist einladend. Was hier schön und darstellungswürdig erscheint, wurde viele Jahrhunderte als bedrohlich und fremd wahrgenommen. Der Wald, die Berge und auch das offene Meer galten als von Dämonen und Monstern bevölkerte Orte ohne den Schutz der Zivilisation. Die Landschaftsbilder der Maler aus Venedig sind Zeugnisse eines Sinneswandels.

Bloß eine Baumgruppe und trotzdem ein kleines Kunstwerk! Solche detailreichen Zeichnungen nach der Natur waren im 16. Jahrhundert etwas Neues. Tizian hat diese Szenerie eigenhändig aufs Papier gebracht.

Tizian, Studie einer Baumgruppe, um 1514/15 (?)

Feder in Braun, Spuren von Druckerschwärze auf beigefarbenem Papier, 21,8 x 31,9 cm, The Metropolitan Museum of Art, New York, © bpk | The Metropolitan Museum of Art

Ein Fluss, Wiesen und Laubwälder, ein Kirchturm und die blaudunstigen Berge – Tizians berühmtes Gemälde der Madonna mit dem Kaninchen verbindet Heiligendarstellung und Naturkulisse.

Tizian, Madonna mit Kind, der heiligen Katharina sowie einem Hirten (Die Madonna mit dem Kaninchen), um 1530

Öl auf Leinwand, 71 x 87 cm, Musée du Louvre, Paris, bpk | RMN – Grand Palais, Thierry Le Mage

Die heilige Katharina von Alexandrien reicht den kleinen Jesus in den Arm seiner Mutter. Maria sitzt auf einem Kissen in freier Natur. Das Gras, ein Korb mit Apfel und Trauben, das Kaninchen – der moderne Betrachter denkt an ein Picknick im Grünen. Doch was hat der barfüßige Schafhirte hier verloren? Tizian spielt auf die antike Idee von „Arkadien“ an – eine paradiesische Landschaft, die von Hirten bevölkert ist. In der Rolle des sanften Schäfers hat der Maler übrigens den adligen Auftraggeber des Bildes porträtiert: Es ist Herzog Federico II. Gonzaga aus Mantua.

Ein stummes
Gespräch

Tizians Gemälde nimmt Bezug auf die Kunst seiner Vorgänger. Sein eigener Lehrer, Giovanni Bellini, war für Heiligendarstellungen besonders berühmt. Sie zeigen stets zentral im Vordergrund Maria und ihren Sohn, umringt von Heiligen. Heute wird diese Bildformel als Sacra Conversazione (ital., heiliges Gespräch) bezeichnet. Vielsagende Blicke und Gesten lassen die Dargestellten lebendig erscheinen. Auf geheimnisvolle Weise beziehen die Bilder den Betrachter in das stumme Gespräch mit ein.

Giovanni Bellini und Werkstatt, Madonna mit Kind, Johannes dem Täufer und der heiligen Elisabeth, um 1500

Mischtechnik auf Pappelholz, 72 x 90 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main, © Städel Museum, Frankfurt am Main – ARTOTHEK

Sehnsucht nach Arkadien

Freie Natur, Frieden und Fruchtbarkeit! Arkadien ist ein Sehnsuchtsort – dorthin möchte man fliehen, um die Zwänge der Gesellschaft hinter sich zu lassen.

Doch Arkadien gibt es wirklich. Eine Landschaft auf der griechischen Halbinsel Peloponnes trägt diesen Namen. Schon die Dichter der Antike besangen die Schönheit der dortigen Natur. Ihre Verse werden in der Renaissance wiederentdeckt, bewundert und in Venedig neu herausgegeben. Arkadien wird zum Inbegriff eines freieren, ungezwungeneren Lebens. Die Hirtendichtung der Antike findet mit ihrer Mischung aus Landschaftsbeschreibung, Nostalgie und Erotik großen Anklang.

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Ein junger Mann flüchtet aus der Stadt aufs Land. Als Hirte verkleidet, genießt er ein freiheitliches Leben. Davon erzählt Jacopo Sannazaros Arcadia, ein echter Bestseller des 16. Jahrhunderts.

Jacopo Sannazaro, Arcadia

Venedig: Niccolò and Vincenzo di Paolo, 10 September 1524, 8°, Bayerische Staatsbibliothek, München, Sign. Res/P.o.it. 921

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Sannazaro lehnt sich an die Idyllen des griechischen Dichters Theokrit (um 270 v. Chr.) an. Dessen Dichtung kreist um die Begegnung von Hirten, Nymphen und Göttern in der Natur. Aber sie enthält auch ungeschönte Beschreibungen des einfachen Lebens der Landbevölkerung.

Theokrit, Idyllia

Venedig: Aldo Manuzio, Februar 1495 [m. v.=1496], 2° | München, Bayerische Staatsbibliothek, Sign. 2 Inc.c.a.3238

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Sannazaro verehrt aber vor allem den römischen Dichter Vergil (70–19 v. Chr.). Dessen Hirtendichtung Bucolica (von griech. boukólos, Rinderhirte) spielt in jenem griechischen Arkadien, das in der Renaissance erneut zum Sehnsuchtsort wird.

Vergil, Bucolica

Venedig: Aldo Manuzio, April 1501, 8°, Druck auf Pergament; kolorierte Federzeichnung auf fol. A2r: anonymer Buchmaler („First Pisani Master“), Dudelsack spielender Hirte | Manchester, The University of Manchester, The John Rylands Library, Sign. Aldine 3359, Copyright of The University of Manchester

Komm, pflück auf meinen Anhöhen ein Blümchen, und verlasse diese düstre Grotte.

Jacopo Sannazaro, Arcadia, 1514 Toggle credits

Bücher über
Bücher

Die Idyllen von Theokrit und die Bucolica von Vergil werden zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Venedig neu herausgegeben. Treibende Kraft ist der Drucker und Verleger Aldo Manuzio, der die Geschichte des Buchs maßgeblich prägt. Er erfand den handlichen Vorgänger des Taschenbuchs! Manuzios berühmtes Druckerzeichen zeigt einen Anker und einen Delphin. Ersterer steht symbolisch für die Langsamkeit, letzterer für die Schnelligkeit. Das Motto von Manuzios Druckertätigkeit lautete also etwa: „Eile mit Weile“. Keines der Bücher, die in seiner Druckerei verlegt wurden, sollten ohne die nötige Sorgfalt veröffentlicht werden.

Aldo Manuzios Druckerzeichen

Nackt in freier Natur

In den Landschaften der Dichtung und Malerei Venedigs tummeln sich Hirten, aber auch Nymphen. Die geheimnisvollen Frauengestalten stehen für ein ungezwungenes Leben.

Jacopo Palma il Vecchio, Zwei ruhende Nymphen, um 1510–15

Öl auf Pappelholz, 98,3 x 152,4 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main, © Städel Museum, Frankfurt am Main – ARTOTHEK

Palma il Vecchios Darstellung zweier ruhender Nymphen an einem Fluss ist rätselhaft und verführerisch zugleich. Halb verdeckte Brüste, entblößte Füße und Schenkel, ein betörender Blick in Richtung des Betrachters: Diese Schönheiten sind so verlockend wie die sprießende Natur, die sie umgibt. Die Nymphen der Renaissancedichtung jagen, schwimmen und vergnügen sich mit Liebhabern. Solche Freiheiten konnte sich keine wirkliche Frau des 16. Jahrhunderts erlauben. So sind auch die Nymphen in diesem Bild zum Greifen nahe – und doch unerreichbar.

Paris Bordone betont die prallen Kurven seiner nackten Venus. Die antike Liebesgöttin weist den kleinen Amor zurecht, der nicht von ungefähr mit dem Pfeil genau auf ihr Geschlecht zielt. Die neckische Szene wird wohl kaum einen Betrachter kaltlassen.

Paris Bordone, Venus und Armor, um 1545–1560

Öl auf Leinwand, 93,7 x 143,3 cm, Muzeum Narodowe, Warschau, © National Museum in Warsaw

Bordone hat sich von Giorgiones berühmter Schlummernder Venus inspirieren lassen. Giorgione war der Erste, der den weiblichen nackten Körper vor weiter Landschaft in Szene setzte. Kaum ein anderes Werk der Kunstgeschichte hat so viel Furore gemacht! Bis heute hat die weltvergessene Darstellung nichts an erotischer und sinnlicher Ausstrahlung verloren.

Giorgione und Tizian, Schlummernde Venus, um 1510

Öl auf Leinwand, 108,5 x 175 cm, Gemäldegalerie Alte Meister, Dresden, eigenes Archiv

Frauen­bilder

Idealisiert und betörend

Fast meint man das Rascheln des glänzenden Stoffs zu hören. Die ebenmäßige jugendliche Haut schimmert vor dem dunklen Hintergrund.

Der Blick der jungen Frau ist versonnen und neckend zugleich. In ihren Händen hält sie einen Parfümbrenner, aus dem zarte Rauchfäden emporsteigen. Soll der Duft den Betrachter betören? Das blau glänzende Kleid ist zum Anfassen schön. Dargestellt ist keine individuelle Venezianerin, sondern das Idealbild einer Frau. Nicht selten sind die venezianischen Gemälde der Belle Donne (ital., „schöne Frauen“) erotisch aufgeladen. Sebastiano del Piombos Malerei zielt auf alle Sinne!

Sebastiano del Piombo, Dame in Blau mit Parfümbrenner, um 1510/11

Öl auf Holz, übertragen auf Hartfaserplatte, 54,7 x 47,5 cm, National Gallery of Art, Washington, National Gallery of Art, Washington, Samuel H. Kress Collection

Duftende
Malerei

Lange Zeit wurde der ungewöhnliche Messinggegenstand für ein Salbgefäß oder eine Lampe gehalten. Doch die zahlreichen Löcher, aus denen feiner Rauch aufsteigt, deuten auf ein Räuchergefäß hin. Diese Gerätschaft wurde genutzt, um darin duftende Essenzen zu verbrennen und so den Raum mit parfümiertem Rauch zu erfüllen.

Sebastiano del Piombo, Dame in Blau mit Parfümbrenner (Detail), um 1510/11

Öl auf Holz, übertragen auf Hartfaserplatte, 54,7 x 47,5 cm, National Gallery of Art, Washington, National Gallery of Art, Washington, Samuel H. Kress Collection

Sittsam und Begehrlich

Ein Gemälde voller Widersprüche! Handelt es sich bei der Szene um die Toilette zweier tugendhafter Damen? Fest steht: Zahlreiche Details sind erotisch aufgeladen.

Paris Bordone, Venezianische Frauen bei der Toilette, um 1545–50

Öl auf Leinwand, 97 x 141 cm, Scottish National Gallery, Edinburgh, National Galleries of Scotland. Purchased by the Royal Institution 1830; transferred to the National Gallery of Scotland 1859

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    Spieglein, Spieglein

     

    Schau genau hin! Die Geste der Hand führt direkt zum Spiegel, doch blickt die junge Blonde versonnen über diesen hinweg. Eine Mahnung, dass die Schönheit vergänglich ist?

    Combined Shape
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    Zeichen der Verführung

     

    Das aufgeknöpfte Gewand gibt den Blick auf den geröteten Ausschnitt frei. Verführerisch ist zwischen den entblößten Brüsten eine glänzende Perlenkette drapiert. Auch die Haare haben sich gelöst und fließen nun wallend über die nackte Haut.

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    Bei der Toilette

     

    Ein silbernes Gefäß, Kamm und Spiegel: Die Utensilien deuten auf das traditionelle Motiv der „Toilette der Venus“ hin. Dabei handelt es sich um die Darstellung der Liebesgöttin, die sich der Körperpflege widmet.

    Combined Shape
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    Zweideutige Blicke

     

    Als sei sie bei etwas ertappt worden, hält sie den verrutschten blauen Stoff fest. Der leicht geöffnete Mund und der eindringliche Blick über die Schulter kokettieren mit dem Betrachter und scheinen zugleich eine Warnung an ihn zu senden: Ich sehe dich!

    Combined Shape
Paris Bordone, Venezianische Frauen bei der Toilette, um 1545–50

Öl auf Leinwand, 97 x 141 cm, Scottish National Gallery, Edinburgh, National Galleries of Scotland. Purchased by the Royal Institution 1830; transferred to the National Gallery of Scotland 1859

Die Kunst der
Verführung

Der Kamm dient der Körperpflege und als Haarschmuck. Im 16. Jahrhundert gilt, wer sich hingebungsvoll vor dem Spiegel frisiert, aber auch als höchst eitel. Schon im Mittelalter waren Kämme beliebte Geschenke von Liebhabern. Sie sahen darin die Möglichkeit, sich der Umworbenen wortwörtlich anzunähern. Schon die Vorstellung, dass der Kamm die Haare der Auserwählten berührt, war hoch erotisch. „Jemanden kämmen“ – das machte man nur hinter verschlossenen Türen.

Eine kleine Adlige – Tizians berühmtes Porträt zeigt die zweijährige Clarice Strozzi aus Venedig. Es gilt als eines der ersten eigenständigen Kinderbildnisse der Kunstgeschichte. Das weiße Brautkleid des Mädchens und das brave Schoßhündchen machen klar: Ihre Zukunft soll die einer Ehefrau und Mutter sein. Damals war dieser Ausblick fürsorglich gemeint. Inszwischen hat sich die Vorstellung vom Kindsein vollkommen gewandelt. So wird aus dem ersten Eindruck des Niedlichen ein zwiespältiges Gefühl der Befremdung.

Tizian, Bildnis der Clarice Strozzi, 1542

Öl auf Leinwand, 121,7 x 104,6 cm, Staatliche Museen, Gemäldegalerie, Berlin, bpk | Gemäldegalerie, SMB / Christoph Schmidt

Kleider und
Gebräuche

In dem Modebuch von Cesare Vecellio ist eine venezianische Braut in ihrem Hochzeitskleid dargestellt. Es ähnelt dem der kleinen Clarice Strozzi. Vecellios Buch steckt voller Überraschungen: Es zeigt Menschen und Kleidung aus aller Welt und allen Zeitaltern. Stoffe, Schmuck und Frisur verrieten genau, wer man war und woher man kam.

Cesare Vecellio, De gli habiti antichi, et moderni di diverse parti del mondo libri due, Venedig: Damian Zenaro, 1590

Universitäts- und Landesbibliothek, Düsseldorf, Sign. 20 H 32

Männer­bilder

Selbstbewusste Inszenierung

Samtweich, rau oder seidig glatt? Der Stoff der prächtigen Robe ist so detailreich wiedergegeben, dass man ihn am liebsten berühren möchte.

Jacopo Bassano, Bildnis des Bernardo Morosini, 1542

Öl auf Leinwand, 86 × 69,5 cm, Kassel, Museumslandschaft Hessen Kassel, Gemäldegalerie Alte Meister, bpk | Museumslandschaft Hessen Kassel

Die weinrote Farbe und die weiten Ärmel des Gewands sind gesellschaftliche Statussymbole: Außer den Dogen durften nur Mediziner und hohe Diplomaten solche Kleidung tragen. Bei dem Mann handelt es sich vermutlich um den Venezianer Bernardo Morosini. Er stand mit dem Maler Jacopo Bassano in engem Kontakt.

Brocone con
caperi

Das Stoffmuster wird in zeitgenössischen Quellen als brocone con caperi, als Brokatstoff mit Kapernäpfeln, beschrieben. Tatsächlich ähnelt das tränenförmige Muster stark den Blättern eines Kapernstrauchs. Pflanzen hatten in der Renaissance immer eine symbolische Bedeutung. Kapern waren für ihre gesundheitsförderliche Wirkung bekannt.

Blüten und Knospen eines Kapernstrauchs

Wer etwas auf sich hält, lässt sich porträtieren: Bildnisse sind im 16. Jahrhundert ein wichtiger Bestandteil der Kultur. Vom Herrscher, Diplomaten, Kaufmann bis hin zum Gelehrten: Das Bildnis dient dazu, sich der Welt mitzuteilen, sich zu vernetzen und den Einflussbereich zu erweitern. Über Kleidung, Accessoires, Möbel und Körperhaltung wird der gesellschaftliche Status vermittelt. Aber auch persönliche Verdienste, Tugenden und Wertvorstellungen eines Menschen lassen sich in einem Porträt der Renaissance ablesen.

Ein Mann in würdevoller Pose. Der Adlige Daniele Barbaro ist einer der angesehensten Gelehrten seiner Zeit. Stolz präsentiert er dem Betrachter sein Lebenswerk. Mit der linken Hand schlägt er ein Buch auf. Es ist die Übersetzung des berühmten antiken Architekturbuchs De Architectura des Römers Vitruv (1. Jh. v. Chr.). Das Studium der Architektur ist für Barbaro ein Weg, die Welt zu verstehen. Denn in der Architektur verbinden sich Mathematik, Physik und Baukunst.

Paolo Veronese, Bildnis des Daniele Barbaro, um 1556–62

Öl auf Leinwand, 121 x 105,5 cm, Rijksmuseum, Amsterdam, © Rijksmuseum, Amsterdam 2019

Architektur
und Kosmos

Daniele Barbaro kann man als Universalgelehrten der Renaissance bezeichnen. In seiner Vorstellung bilden die Regeln und Verfahren der Architektur – von der Statik bis hin zur Gestaltung der Fassade – die Geheimnisse und Gesetzmäßigkeiten der Natur und des Universums ab. So überrascht es nicht, dass auf dem zweiten, an der Säule lehnenden Buch im Gemälde die Zeichnung einer Sonnenuhr zu erkennen ist. Und noch mehr: Hinter dem Buch versteckt sich eine sogenannte Armillarsphäre. Das ist ein astronomisches Gerät zur Darstellung der Planetenbewegungen.

Daniele Barbaro, I dieci libri dell'architettura di M. Vitruvio tradutti et commentati da Monsignor Barbaro Eletto Patriarca d'Aquileggia, Venedig: Francesco Marcolini, 1556

Österreichische Nationalbibliothek, Sign. BE.5.E.29, Wien

Glanz der Macht

Wie ein Pfeil träfe der Glanz den Betrachter ins Auge! So lobt der Dichter Aretino Tizians Darstellung einer Rüstung.

Tizian, Bildnis des Alfonso d’Avalos mit Page, um 1533

Öl auf Leinwand, 110 × 80 cm, The J. Paul Getty Museum, Los Angeles, Digital image courtesy of the Getty’s Open Content Program, The J. Paul Getty Museum, Los Angeles

Bei diesem adligen Ritter handelt sich um Alfonso d’Avalos. Um den Hals trägt er das Abzeichen des Ritterordens vom Goldenen Vlies. Bis heute werden die Mitglieder des exklusiven Ordens vom spanischen König ernannt. Der große Habsburger-Kaiser Karl V. hatte d’Avalos 1531 diese Auszeichnung verliehen.

Auch Tizian wird von Karl V. geschätzt. Er wird nicht nur als Hofmaler angestellt, sondern auch zum Ritter geschlagen. Eine solche Ehre – das ist für einen Künstler zuvor kaum denkbar gewesen! Bis ins hohe Alter hinein bleibt Tizian einer der erfolgreichsten Maler seiner Zeit. Der fast 90-Jährige stirbt 1576 während einer verheerenden Pestepidemie in Venedig.

Diener und
Herrscher

Ein Diener tritt an den Ritter heran und reicht ihm seinen Helm. Anders als der heutige Betrachter denken könnte, handelt es sich um einen kleinwüchsigen Mann. Im höfischen Umfeld waren sie als „Hofzwerge“ bekannt. Nahe an einen Herrscher herantreten, ihn berühren, vor ihm die Wahrheit aussprechen und Scherze machen – das war in der Renaissance nicht denkbar. Allein den Hofzwergen war diese Grenzüberschreitung im Rahmen ihrer klar abgesteckten Rolle erlaubt.

Tizian, Bildnis des Alfonso d’Avalos mit Page (Detail), um 1533

Öl auf Leinwand, 110 × 80 cm, The J. Paul Getty Museum, Los Angeles, Digital image courtesy of the Getty’s Open Content Program, The J. Paul Getty Museum, Los Angeles

Tizian, Bildnis eines jungen Mannes, um 1510

Öl auf Pappelholz, 20 x 17 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main, © Städel Museum, Frankfurt am Main – ARTOTHEK

Fließende Konturen, sichtbare Pinselstriche und eine freie Verwendung der Farbe – wie kein anderer verkörpert Tizian das Kunstschaffen Venedigs. Die Atmosphäre, Lebendigkeit, emotionale Bewegung und malerische Dynamik der Venezianer wurden in der Kunst später immer wieder aufgegriffen. Kaum ein anderer Ort hatte einen vergleichbaren Einfluss auf die Kunstgeschichte. Nicht nur in den Kirchen, Gebäuden und an den Kanälen der Lagunenstadt kann man der faszinierenden Zeit nachspüren. Auch die poetischen Bilder der Renaissance in Venedig bezaubern bis heute.

Geheimtipp

Das weite Meer! Auf über zwei Metern Breite erstreckt sich das bewegte Panorama aus Wasser und Wellen. Ein riesiger Holzschnitt aus zwölf Teilen macht dieses Erlebnis möglich.

Die Stadtkulisse im Hintergrund erinnert an Venedig. Auch wenn die Druckgrafik die biblische Geschichte der Durchquerung des Roten Meers schildert, ist doch klar: die Darstellung ist von der unmittelbaren Nähe des Meeres inspiriert. Eine Zeichnung von Tizian diente als Vorlage für das beeindruckende Werk. Heranrollende Wellen, bedrohliche Wolken, schroffe Felsen und die zahlreichen Figuren laden zum genauen Betrachten ein. Das lässt sich in der Ausstellung erleben!

Unbekannter Holzschneider, Durchzug durch das Rote Meer, um 1517 (dieser Abzug 1549 oder später)

Holzschnitt in 12 Druckstöcken, 1. von 2 Zuständen, ca. 122/123,5 x 220,5/222,5 cm, veröffentlicht von Demnico dalle Greche, Venedig 1549, Städel Museum, Graphische Sammlung, Frankfurt am Main, © Städel Museum, Frankfurt am Main – ARTOTHEK

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    In den Fluten

     

    Ein dramatischer Todeskampf, Pferde und Menschenkörper in den Fluten – das Heer des Pharaos wird vom herannahenden Sturm und den Wellen ergriffen. Nachdem Moses das Rote Meer für den Durchzug der Israeliten geteilt hatte, bricht es über den Verfolgern wieder zusammen.

    Combined Shape
  • Das offene Meer

    Strudel, Wellen und eine kräuselnde Oberfläche – die Darstellung des Wassers nimmt einen Großteil des Holzschnittes ein. In der dramatischen Szene drückt sich die Faszination des Künstlers für die grenzenlose Weite des offenen Meeres aus. Die Beobachtung der Natur rückt einmal mehr in den Fokus.

    Combined Shape
Unbekannter Holzschneider, Durchzug durch das Rote Meer, um 1517 (dieser Abzug 1549 oder später)

Holzschnitt in 12 Druckstöcken, 1. von 2 Zuständen, ca. 122/123,5 x 220,5/222,5 cm, veröffentlicht von Demnico dalle Greche, Venedig 1549, Städel Museum, Graphische Sammlung, Frankfurt am Main, © Städel Museum, Frankfurt am Main – ARTOTHEK