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Hier entstanden Ideen, die Geschichte geschrieben haben. In Venedig, der Stadt der Seefahrer und Händler, kamen Einflüsse der verschiedensten Kulturen aus aller Welt zusammen. Das 16. Jahrhundert war eine Blütezeit von Literatur, Musik und Kunst. Besonders die Gemälde des einflussreichen Künstlers Tizian stehen für die revolutionäre Kraft der Malerei Venedigs. Virtuose Farben und eine lebendige Bewegtheit machen die Kunst der venezianischen Renaissance zu einem faszinierenden Erlebnis.
Tizian ist kein Maler (...) sondern ein Wunder!
Sperone Speroni, Dialogo d'Amore, 1542 Toggle credits
Venedig
Glanzvolle Republik
Venedig – eine einzigartige Stadt! In ihren unzähligen Kanälen spiegeln sich Fassaden, Gondeln und Menschen. Das stimmungsvolle Licht- und Farbenspiel ist unvergesslich.
Etwa 30 Millionen Menschen aus aller Welt besuchen jedes Jahr die bezaubernde Lagunenstadt. Doch riesige Kreuzfahrtschiffe bringen die alten Gemäuer zum Beben und gefährden so die fragilen Fundamente. Die jahrhundertealten Kirchen und Paläste drohen auf lange Sicht unterzugehen.
Zu Tizians Lebzeiten (1488/90-1576) zählte Venedig zu den zehn größten Metropolen der Welt. Eine Republik mit zeitweise 200 000 Bewohnern und Handelsverzweigungen in alle Erdteile: „La Serenissima“ – die Glänzende, Adlige – wurde die stolze Stadt auf dem Wasser genannt.
Paläste und Kanäle
Kunst, Musik, Literatur und Wissenschaft – der kulturelle Reichtum Venedigs kannte im 16. Jahrhundert keine Grenzen.
Ein Holzschnitt von fast drei Metern Breite! Dieser riesige Stadtplan ist eine Errungenschaft der venezianischen Blütezeit um 1500. Der Betrachter schwebt über der Lagune. Venedig liegt wie ein Fisch im Wasser. Um den Verlauf der unzähligen Gebäude, Gassen und Kanäle aufzuzeichnen, kletterte man auf die höchsten Türme. Wo dies nicht möglich war, mussten Messinstrumente und die Fantasie aushelfen. Alle bedeutenden Orte der glanzvollen Hauptstadt der Republik lassen sich auf dem Plan entdecken.
Eine Handelsrepublik – kein Königreich oder Fürstentum. Venedig eilt ein freiheitlicher Ruf voraus. Menschen unterschiedlichster Herkunft und Religion zieht es deshalb in die Lagune. Wer hier den Status eines Bürgers erlangt, hat politisches Wahl- und Mitspracherecht: alles andere als eine Selbstverständlichkeit im Europa des 16. Jahrhunderts. Der Doge von Venedig ist der würdevolle Herrscher über die Republik.
Macht und Weisheit
Ein roter samtener Ehrenvorhang und ein kostbares, goldenes Gewand: Dem venezianischen Staatsoberhaupt gebührt alle Ehre.
Das gilt sonst nur für die Päpste, Könige und Kaiser: Die Dogen von Venedig sind auf Lebenszeit im Amt. Allerdings wird ihre Macht durch verschiedene politische Räte und Gremien kontrolliert. Die komplizierte Wahl- und Regierungsordnung Venedigs würde man heute als System der Checks and Balances bezeichnen. Eine ausgewogene Gewaltenteilung und die Verhinderung von zu viel Machtkonzentration sind die tragenden Säulen der Republik.
Die Renaissance (franz., Wiedergeburt) gilt als Zeit des Wandels. Die Kultur der Antike wird zum Vorbild für ein neues Wertesystem und Menschenbild. Besonders Italien ist Ort zahlreicher wissenschaftlicher Erfindungen und kultureller Neuerungen. Doch das 16. Jahrhundert bedeutet für die Republik Venedig den Beginn ihres schleichenden Niedergangs. Das Osmanische Reich hat bereits 1453 Konstantinopel erobert. Der Einfluss Venedigs im Osten schwindet zusehends. Konkurrenz erwächst der Seefahrerrepublik außerdem durch den blühenden Handel zwischen anderen europäischen Mächten und den Kolonien im neu entdeckten Amerika.
Colorito
Pinselstrich und Farbenspiel
Dynamische Pinselstriche und eine ausdrucksstarke Lebendigkeit – die venezianischen Künstler der Renaissance entwickeln eine unverwechselbare Malweise.
Ein atemberaubender Abendhimmel – prächtige Farben leuchten in sanften Übergängen von Orange zu Blau. Einen starken Kontrast dazu bildet der davorstehende, schwarz gekleidete Mann mit dem ernsten Blick. Der Farbkasten auf der Fensterbank gibt einen Hinweis auf die Identität und den Beruf des Dargestellten: Es ist Tizians Farbenhändler Alvise dalla Scala.
In Venedig hat sich der eigenständige Beruf des Farbenhändlers bereits um das Jahr 1500 herausgebildet. Künstler kauften ihre Pigmente bis dahin in Apotheken. Aus Pflanzen, Insekten und anderen Naturmaterialien werden Farben aufwendig hergestellt. Venedig mausert sich schnell zum Zentrum des Farbenhandels in Europa. Alvise dalla Scala beliefert sogar den kaiserlichen Hof der Habsburger und den Vatikan.
Spielarten der Malerei
Leuchtkraft, Lichteffekte und Kontraste: Die Maler Venedigs entwickeln verschiedenste Techniken im Umgang mit der Farbe und werden für ihre Farbkünste gerühmt.
Von Trockenheit keine Spur. Tizians Zeitgenosse Tintoretto malt die Wüste in sattem Grün. Die Szene zeigt Moses und die Israeliten auf ihrer Wanderung ins Gelobte Land. Von Durst geplagt, begehrt das Volk gegen seinen Anführer auf. Da kann nur noch ein Wunder helfen: Moses schlägt mit einem Stock auf den Felsen, worauf das Wasser zu sprudeln beginnt. Durch sein leuchtend rotes Gewand zeichnet sich seine Gestalt deutlich von der Menschenmenge im Hintergrund ab. Tintorettos Malweise ist eigenwillig – überall sind flüchtige Pinselstriche zu sehen.
Das Gemälde gibt Rätsel auf: Die prächtigen Gewänder der Menschen lassen an eine prunkvolle Theaterinszenierung denken. So sieht kein Mensch aus, der jahrelang durch die Wüste gewandert ist. Tintoretto schildert mit Hingabe den Perlenbehang der Frauen und die extravaganten Hüte der Männer. Unpassend wirkt die Aufmachung. Die Israeliten wenden sich immer wieder gegen Moses, obwohl er seinen Auftrag von Gott erhalten hat. Mangelndes Gottvertrauen und ein falsches Urteilsvermögen kennzeichnen das Volk in der biblischen Geschichte. Dies unterstreicht Tintoretto durch die übertriebene Ausstaffierung der Menge.
Eine unwirkliche, unheimliche Atmosphäre. Dramatisch heben sich die Figuren vor dem tiefschwarzen Hintergrund ab. Der Maler Jacopo Bassano hat für die Darstellung der satten Dunkelheit Farben auf eine polierte Schiefertafel aufgetragen. Auf dem schwarzen, glänzenden Stein treten die Orange-, Rot- und Gelbtöne intensiv hervor. Helle Akzente wirken wie Lichtreflexe. Gekonnt schildert Bassano den Todesmoment Christi – laut der Bibel verfinstert sich die Sonne.
Unter allen denen, die Nachtscenen mit Farben auf Gemälden darzustellen pflegen mit strahlenden und reflektirenden Lichtern, konnte der alte Bassano die Augen durch Natürlichkeit ausserordentlich gut betrügen.
Karel van Mander, Schilderboek, 1604 Toggle credits
Bassanos Zeichnung ist ungewöhnlich für die damalige Zeit. Als Erster bereichert er seine Linienzeichnung durch verschiedenfarbige Kreiden! Mittels des gezielten Einsatzes von Blau, Gelb und Rot betont er einzelne Figuren. So entsteht im Zusammenspiel von Zeichnung und Farbe eine lebendige Komposition. Mit weißer Kreide setzt er Glanzpunkte und Akzente.
Form und Farbe
Deutlich sichtbare Pinselspuren und großzügig aufgetragene Farbe – Tizians späte Malweise nimmt stellenweise abstrakte Züge an.
Mit energiegeladenen Pinselstrichen hat Tizian die Figur des Tarquinius gestaltet: Der wilde Gestus in dessen Kleidung steht im Gegensatz zu Lucretias fein gemaltem Gesicht. Ohne Vorzeichnungen hat Tizian die offene, fast skizzenhafte Struktur auf die Leinwand gebracht. Seine innovative Malweise lässt Dramatik und Bewegung anschaulich werden.
Der Betrachter blickt auf die verzweifelte Lucretia. Die schöne und tugendhafte Frau wird von Tarquinius begehrt. Er erpresst sie mit der Drohung, ihrem Ehemann Lügengeschichten zu erzählen. Wenn sie sich Tarquinius nicht hingibt, werde er sie der Untreue beschuldigen. Eine hochdramatische Vergewaltigungsgeschichte, die im Selbstmord Lucretias endet.
Wenn Tizian damals in Rom gewesen wäre, die Arbeiten Michelangelos und Raffaels, die antiken Statuen gesehen und die Zeichenkunst studiert hätte, so würde er das Erstaunlichste geleistet haben.
Giorgio Vasari, Le Vite, 1568 Toggle credits
Jacopo Tintoretto zählt mit Tizian zu den großen Malern Venedigs. Seine Werke sind unter anderem von dem florentinischen Künstler Michelangelo inspiriert. Tintoretto bringt dessen klare Formensprache mit der venezianischen Farbmalerei zusammen:
Zwischen den kulturellen Zentren Venedig und Florenz entbrennt ein Wettstreit. Das Ringen zwischen colore und disegno um die Vorherrschaft in der Kunst schlägt sich vor allem in den kunsttheoretischen Schriften der Renaissance nieder. Die experimentelle Farbmalerei der Venezianer steht auf der einen, das Kunstideal der Florentiner auf der anderen Seite: Letzteres fußt auf Zeichnung, Perspektive und Proportion.
Poesia
Gemalte Dichtung
„Absolut gottgleich“ und „ohne Konkurrenz“ – mit diesen Worten lobt Lodovico Dolce Tizian in den höchsten Tönen.
Der Kunsttheoretiker und Dichter Dolce bezeichnet Tizian als den größten aller Maler. Mit seiner Farbkunst könne sich nicht einmal Michelangelo messen.
Energisch aufgetragene Pinselstriche und verwischte Farbfelder! Tizian entwirft ein beängstigendes Szenario. Düstere Rauchschwaden verdunkeln den Himmel. Ein kleiner Junge blickt über seine Schulter zurück; er ist allein im Wald mit zwei Hunden. Was wird hier erzählt? Tizian scheint die Szene selbst ersonnen zu haben. Ohne Vorzeichnung malt er direkt auf die Leinwand. Die rhythmische, improvisierte Malweise und die rätselhaften Bildmotive erzeugen eine eigenwillige Stimmung. In Briefen hat Tizian einige seiner Bilder selbst als poesie – als Gedichte – bezeichnet. Die Deutung bleibt dem Betrachter überlassen.
Und ich glaube, dass eine Porträtierung von Tizian und eine Lobpreisung von Aretino einer Neuerschaffung der Menschen gleichkommt.
Sperone Speroni, Dialogo d'Amore, 1542 Toggle credits
Der Dichter Pietro Aretino und Tizian waren echte Berühmtheiten. Der skandalträchtige Gesellschaftskritiker Aretino pflegt europaweit Kontakte zu politischen Größen, Denkern und Künstlern. Und so kann er Tizian zu Aufträgen und Ideen verhelfen. Der Dichter und der Maler treiben sich gegenseitig im spielerischen Wettstreit zu Höchstleistungen an. Aretino lobt Tizians Kompositionen überschwänglich, und Tizian wiederum übersetzt Aretinos Dichtungen in Bilder.
Fantasie und Dramatik
Hellrot tropft Blut aus der Wunde auf den glänzenden Stoff. Die Königstochter Procris liegt, von einem Jagdspeer tödlich verwundet, am Boden.
Eine tragische Geschichte: Procris’ Gatte Cephalus hat den Speer geschleudert. Er hatte im Gebüsch ein Tier vermutet, doch war es Procris, die sich darin versteckt hatte. Getrieben von Eifersucht, war sie Cephalus heimlich in den Wald gefolgt. Da er unentwegt den Namen „Aura“ rief, glaubte sie, er betrüge sie mit einer Nymphe. In ihren letzten gemeinsamen Momenten klärt Cephalus das Missverständnis auf: Sein Ruf nach Aura (griech., Lufthauch) war nichts weiter als der Wunsch nach einer erfrischenden Brise nach der hitzigen Jagd.
Wir Maler bedienen uns der gleichen schöpferischen Freiheit wie die Dichter und die Hofnarren.
Paolo Veronese während seines Inquisitionsprozesses, 1573 Toggle credits
Die Geschichte von Cephalus und Procris kannte Veronese wohl aus den berühmten Metamorphosen des römischen Dichters Ovid (43 v. Chr.–17 n. Chr.). Fantasievoll schmückt der Maler die Szene aus: Procris trägt ein Gewand aus weißgoldenem Brokat: Die Falten erzeugen ein faszinierendes Spiel aus Licht und Schatten. Sanft verschränken sich die Hände der Liebenden. Seine poetischen Bilder machten Veronese zu einem der gefragtesten Maler Venedigs.
Naturbilder
Landschaft der Träume
Raus ins Grüne! Die Maler und Dichter der Renaissance in Venedig entdecken die Landschaft als Ort des Friedens, der Fruchtbarkeit und ungezwungenen Liebe.
Eine Bauernfamilie bei der Arbeit unter freiem Himmel. Jacopo Bassanos Gemälde zeigt das neue Interesse für das Natürliche und Ländliche. Im 16. Jahrhundert geht dies mit dem Mythos des Goldenen Zeitalters einher. Seit der Antike gibt es den Traum dieses freiheitlichen Urzustands der Menschheit, im Einklang mit der Natur. Erst die Zivilisation bringt demnach Gewalt und Krieg.
Blaue Berge in der Ferne, lichte Wälder, sanfte Hügel, der Bauernhof: Bassanos gemalte Landschaft ist einladend. Was hier schön und darstellungswürdig erscheint, wurde viele Jahrhunderte als bedrohlich und fremd wahrgenommen. Der Wald, die Berge und auch das offene Meer galten als von Dämonen und Monstern bevölkerte Orte ohne den Schutz der Zivilisation. Die Landschaftsbilder der Maler aus Venedig sind Zeugnisse eines Sinneswandels.
Bloß eine Baumgruppe und trotzdem ein kleines Kunstwerk! Solche detailreichen Zeichnungen nach der Natur waren im 16. Jahrhundert etwas Neues. Tizian hat diese Szenerie eigenhändig aufs Papier gebracht.
Ein Fluss, Wiesen und Laubwälder, ein Kirchturm und die blaudunstigen Berge – Tizians berühmtes Gemälde der Madonna mit dem Kaninchen verbindet Heiligendarstellung und Naturkulisse.
Die heilige Katharina von Alexandrien reicht den kleinen Jesus in den Arm seiner Mutter. Maria sitzt auf einem Kissen in freier Natur. Das Gras, ein Korb mit Apfel und Trauben, das Kaninchen – der moderne Betrachter denkt an ein Picknick im Grünen. Doch was hat der barfüßige Schafhirte hier verloren? Tizian spielt auf die antike Idee von „Arkadien“ an – eine paradiesische Landschaft, die von Hirten bevölkert ist. In der Rolle des sanften Schäfers hat der Maler übrigens den adligen Auftraggeber des Bildes porträtiert: Es ist Herzog Federico II. Gonzaga aus Mantua.
Sehnsucht nach Arkadien
Freie Natur, Frieden und Fruchtbarkeit! Arkadien ist ein Sehnsuchtsort – dorthin möchte man fliehen, um die Zwänge der Gesellschaft hinter sich zu lassen.
Doch Arkadien gibt es wirklich. Eine Landschaft auf der griechischen Halbinsel Peloponnes trägt diesen Namen. Schon die Dichter der Antike besangen die Schönheit der dortigen Natur. Ihre Verse werden in der Renaissance wiederentdeckt, bewundert und in Venedig neu herausgegeben. Arkadien wird zum Inbegriff eines freieren, ungezwungeneren Lebens. Die Hirtendichtung der Antike findet mit ihrer Mischung aus Landschaftsbeschreibung, Nostalgie und Erotik großen Anklang.
Komm, pflück auf meinen Anhöhen ein Blümchen, und verlasse diese düstre Grotte.
Jacopo Sannazaro, Arcadia, 1514 Toggle credits
Nackt in freier Natur
In den Landschaften der Dichtung und Malerei Venedigs tummeln sich Hirten, aber auch Nymphen. Die geheimnisvollen Frauengestalten stehen für ein ungezwungenes Leben.
Palma il Vecchios Darstellung zweier ruhender Nymphen an einem Fluss ist rätselhaft und verführerisch zugleich. Halb verdeckte Brüste, entblößte Füße und Schenkel, ein betörender Blick in Richtung des Betrachters: Diese Schönheiten sind so verlockend wie die sprießende Natur, die sie umgibt. Die Nymphen der Renaissancedichtung jagen, schwimmen und vergnügen sich mit Liebhabern. Solche Freiheiten konnte sich keine wirkliche Frau des 16. Jahrhunderts erlauben. So sind auch die Nymphen in diesem Bild zum Greifen nahe – und doch unerreichbar.
Paris Bordone betont die prallen Kurven seiner nackten Venus. Die antike Liebesgöttin weist den kleinen Amor zurecht, der nicht von ungefähr mit dem Pfeil genau auf ihr Geschlecht zielt. Die neckische Szene wird wohl kaum einen Betrachter kaltlassen.
Bordone hat sich von Giorgiones berühmter Schlummernder Venus inspirieren lassen. Giorgione war der Erste, der den weiblichen nackten Körper vor weiter Landschaft in Szene setzte. Kaum ein anderes Werk der Kunstgeschichte hat so viel Furore gemacht! Bis heute hat die weltvergessene Darstellung nichts an erotischer und sinnlicher Ausstrahlung verloren.
Frauenbilder
Idealisiert und betörend
Fast meint man das Rascheln des glänzenden Stoffs zu hören. Die ebenmäßige jugendliche Haut schimmert vor dem dunklen Hintergrund.
Der Blick der jungen Frau ist versonnen und neckend zugleich. In ihren Händen hält sie einen Parfümbrenner, aus dem zarte Rauchfäden emporsteigen. Soll der Duft den Betrachter betören? Das blau glänzende Kleid ist zum Anfassen schön. Dargestellt ist keine individuelle Venezianerin, sondern das Idealbild einer Frau. Nicht selten sind die venezianischen Gemälde der Belle Donne (ital., „schöne Frauen“) erotisch aufgeladen. Sebastiano del Piombos Malerei zielt auf alle Sinne!
Sittsam und Begehrlich
Ein Gemälde voller Widersprüche! Handelt es sich bei der Szene um die Toilette zweier tugendhafter Damen? Fest steht: Zahlreiche Details sind erotisch aufgeladen.
Eine kleine Adlige – Tizians berühmtes Porträt zeigt die zweijährige Clarice Strozzi aus Venedig. Es gilt als eines der ersten eigenständigen Kinderbildnisse der Kunstgeschichte. Das weiße Brautkleid des Mädchens und das brave Schoßhündchen machen klar: Ihre Zukunft soll die einer Ehefrau und Mutter sein. Damals war dieser Ausblick fürsorglich gemeint. Inszwischen hat sich die Vorstellung vom Kindsein vollkommen gewandelt. So wird aus dem ersten Eindruck des Niedlichen ein zwiespältiges Gefühl der Befremdung.
Männerbilder
Selbstbewusste Inszenierung
Samtweich, rau oder seidig glatt? Der Stoff der prächtigen Robe ist so detailreich wiedergegeben, dass man ihn am liebsten berühren möchte.
Die weinrote Farbe und die weiten Ärmel des Gewands sind gesellschaftliche Statussymbole: Außer den Dogen durften nur Mediziner und hohe Diplomaten solche Kleidung tragen. Bei dem Mann handelt es sich vermutlich um den Venezianer Bernardo Morosini. Er stand mit dem Maler Jacopo Bassano in engem Kontakt.
Wer etwas auf sich hält, lässt sich porträtieren: Bildnisse sind im 16. Jahrhundert ein wichtiger Bestandteil der Kultur. Vom Herrscher, Diplomaten, Kaufmann bis hin zum Gelehrten: Das Bildnis dient dazu, sich der Welt mitzuteilen, sich zu vernetzen und den Einflussbereich zu erweitern. Über Kleidung, Accessoires, Möbel und Körperhaltung wird der gesellschaftliche Status vermittelt. Aber auch persönliche Verdienste, Tugenden und Wertvorstellungen eines Menschen lassen sich in einem Porträt der Renaissance ablesen.
Ein Mann in würdevoller Pose. Der Adlige Daniele Barbaro ist einer der angesehensten Gelehrten seiner Zeit. Stolz präsentiert er dem Betrachter sein Lebenswerk. Mit der linken Hand schlägt er ein Buch auf. Es ist die Übersetzung des berühmten antiken Architekturbuchs De Architectura des Römers Vitruv (1. Jh. v. Chr.). Das Studium der Architektur ist für Barbaro ein Weg, die Welt zu verstehen. Denn in der Architektur verbinden sich Mathematik, Physik und Baukunst.
Glanz der Macht
Wie ein Pfeil träfe der Glanz den Betrachter ins Auge! So lobt der Dichter Aretino Tizians Darstellung einer Rüstung.
Bei diesem adligen Ritter handelt sich um Alfonso d’Avalos. Um den Hals trägt er das Abzeichen des Ritterordens vom Goldenen Vlies. Bis heute werden die Mitglieder des exklusiven Ordens vom spanischen König ernannt. Der große Habsburger-Kaiser Karl V. hatte d’Avalos 1531 diese Auszeichnung verliehen.
Auch Tizian wird von Karl V. geschätzt. Er wird nicht nur als Hofmaler angestellt, sondern auch zum Ritter geschlagen. Eine solche Ehre – das ist für einen Künstler zuvor kaum denkbar gewesen! Bis ins hohe Alter hinein bleibt Tizian einer der erfolgreichsten Maler seiner Zeit. Der fast 90-Jährige stirbt 1576 während einer verheerenden Pestepidemie in Venedig.
Fließende Konturen, sichtbare Pinselstriche und eine freie Verwendung der Farbe – wie kein anderer verkörpert Tizian das Kunstschaffen Venedigs. Die Atmosphäre, Lebendigkeit, emotionale Bewegung und malerische Dynamik der Venezianer wurden in der Kunst später immer wieder aufgegriffen. Kaum ein anderer Ort hatte einen vergleichbaren Einfluss auf die Kunstgeschichte. Nicht nur in den Kirchen, Gebäuden und an den Kanälen der Lagunenstadt kann man der faszinierenden Zeit nachspüren. Auch die poetischen Bilder der Renaissance in Venedig bezaubern bis heute.
Geheimtipp
Das weite Meer! Auf über zwei Metern Breite erstreckt sich das bewegte Panorama aus Wasser und Wellen. Ein riesiger Holzschnitt aus zwölf Teilen macht dieses Erlebnis möglich.
Die Stadtkulisse im Hintergrund erinnert an Venedig. Auch wenn die Druckgrafik die biblische Geschichte der Durchquerung des Roten Meers schildert, ist doch klar: die Darstellung ist von der unmittelbaren Nähe des Meeres inspiriert. Eine Zeichnung von Tizian diente als Vorlage für das beeindruckende Werk. Heranrollende Wellen, bedrohliche Wolken, schroffe Felsen und die zahlreichen Figuren laden zum genauen Betrachten ein. Das lässt sich in der Ausstellung erleben!